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29. Januar 2022

Resonanzen

„Eine andere Stimme ist mir begegnet und hat mich berührt, bewegt, erreicht.“ So nett beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa sein Konzept der „Resonanz“. „Wenn ein Vortrag zum Resonanzgeschehen werden soll, dann muss ich die Überzeugung haben von Selbstwirksamkeit, dass ich Ihnen etwas zu sagen habe und Sie auch erreichen kann und Sie darauf antworten. Resonanz heißt nicht Zustimmung, Resonanz heißt Antwort.“

Ähnliches gilt für Autoren und ihre Bücher. Auch wir wünschen uns Resonanz: gern Zustimmung, überschwängliches Lob – immer her damit! –, aber Hauptsache, eine Reaktion. Ich wünschte mir das jedenfalls (in der bangen Hoffnung, keinen Beifall von der falschen Seite zu erhalten) für mein Buch „Feindbilder – das weiße Universum des identitären Antirassismus“. Wie der Titel schon sagt, befasst es sich kritisch mit einer recht populären Spielart des Antirassismus, die eine Front „Schwarz“ gegen „Weiß“ aufmacht und zurzeit heftig diskutiert wird.

Kürzlich beschloss der Verlag nun, eine kleine Werbeaktion auf Facebook zu starten. Drei Wochen lang bekamen Facebook-Abonnenten in vier deutschen Großstädten – Berlin, Frankfurt, Hamburg und München – eine Anzeige zu sehen, die das Titelbild zeigte. Dazu gab es einen kurzen Begleittext zum Inhalt des Buches.

Nach drei Wochen hatte die Anzeige laut Facebook etwas mehr als 6000 Personen erreicht. Und ich bekam meine Reaktionen. Allerdings fielen sie anders aus als erwartet. Neben 150 Dislikes und 72 Likes gab es mehr als 160 Kommentare. Identitäre Antirassist*innen meldeten sich nicht (erkennbar) zu Wort, dennoch waren die meisten negativ: „Idioten!“, „Schwachsinn“, „So n Schrott!“, „Ein Buch, das niemand braucht“, dazu ganze Batterien von Stinkefingern und ein Foto von einem dampfenden Scheißhaufen mit dem Text: „You paid facebook to shit on my timeline. So I´m returning the favor.“ Wie auch Stichproben in den Profilen der Kommentator*innen zeigten, stammten sie zum überwiegenden Teil von Wirrköpfen, Impfgegnern und Rassisten. Ein paar Kostproben: „Mütter sind gleich … Väter nicht.“ – „Schlimmer wie in der DDR.“ - „Zuerst müssen wir akzeptieren, daß HOMOPHOBIE nicht die Unterdrückung von Schwulen bedeutet, sondern die Unterdrückung von Männer.“ (Mit einem Link zu einem Spiegel-Artikel über Munitionstransporte im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojekts.) „Das einzige Feindbild was da zu sehen ist, ist die Maske.“ - „Also gegen Rassismus, aber für Corona-Propaganda, geil.“ – „Rassismus gegen Ungeimpfte ist aber was anderes oder wie,scheiss Propaganda mit Doppemoral“ - „Schwarze waren schon IMMER die größten Rassisten! Ich boykotiere mittlerweile ALLES was aus schwarzen Händen kommt!“ – „Ethnozenstrismus ist natürlich und normal, nur dysgenische Antifa Terroristen mit schweren Geisteskrankheiten sind ethnomasochistisch und wollen ihr eigenes Volk auslöschen...“

Es fühlte sich an, als würde eine Querdenker-Horde durch die virtuellen Verlagsräume trampeln. Ich las: „Die zivilisatorischen Erfolgen die wir Europäer kreiert haben hatten deren Erfolg nicht dank der judeo-christlichen (dazu gehört auch der iSlam)Herrschafts und Überlegenheits Ideologien sondern trotz diesen.“ Und sah dabei sofort jenes zivilisatorische Erfolgsprodukt mit Fellmütze und Büffelhörnern bei der Erstürmung des Kapitols vor mir.

Es gab auch ein Beispiel für die unheilige Allianz von identitärem „Anti“-Rassismus und (r)echtem Rassismus, nämlich den Tweet einer afrodeutschen Aktivistin namens Mikah, den ein weiterer Kommentator triumphierend zitierte: „Jeden Tag bete ich zu Gott, dass weißen Menschen endlich der Atem genommen wird. Sterbt einfach alle aus. Sterbt. Keiner von euch hat das Rückgrat eure ekelhaften Nationen und Staatengemeinschaften zu stürzen. Und ihr seid die Minderheit, die alle abfuckt. Fallt bitte tot um!“ Mit solch hirnlosem Geplapper leistet „linker“ Rassismus nur dem rechten Vorschub. Vielleicht sollte man für derartige Texte einen Rassismusförderpreis ausloben – mit Modalitäten wie bei jenen Banken, die Negativzinsen erheben.

Resonanzen: keine Konsonanzen also, sondern schrille Dissonanzen. Aber manchmal ist Ablehnung eine schönere Bestätigung als jede Zustimmung.

Meine Befürchtung, für das Buch Beifall von der falschen Seite zu bekommen, erwies sich jedenfalls als unbegründet. Dazu reichten die intellektuellen Kapazitäten ersichtlich nicht aus. Beim Wort „Antirassismus“ im Untertitel des Buches fiel bereits die Klappe. Dass mit dem Cover ein Widerspruch bebildert wird, überstieg offenkundig das Vorstellungsvermögen der meisten Kommentator*innen. Und dann wurde mir klar, dass ich gerade mit dem Titelbild in ein Wespennest gestochen hatte. Zwei junge Frauen unterschiedlicher Hautfarbe, die sich innig umarmen und zugleich kämpferisch die Faust in die Höhe recken – ein solcher Anblick bringt Rassist*innen offenbar auf die Palme. Wie der Autor Tobias Ginsburg („Die letzten Männer des Westens“) diagnostiziert: „Antifeminismus hält die extreme Rechte zusammen und ist anschlussfähig für die bürgerliche Gesellschaft.“

Dabei verkörpern die beiden Mädchen auf dem Titel – im ausdrücklichen Gegensatz zu Standpunkten wie dem von Mikah – eine zentrale These meines Buches: „Haupt- und Nebenwidersprüche gibt es immer nur konkret. Manchmal steht der Kampf gegen Rassismus im Vordergrund, manchmal der Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Und dann sind da ja auch noch Artensterben und Klimakrise. Was und wie auch immer: Es geht nur gemeinsam, nicht gegeneinander.“